BERLIN - MITTE

  Berlin
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Von der Siegessäule zum Fernsehturm

Alles Mitte, oder was?

Friedrichswerdersche Kirche

Februar 2018

Historie

Die Kirche um 1760(aus Wikipedia, Werk ist gemeinfrei)
Als Friedrichswerder 1662 gegründet wurde, gab es jahrzehntelang keine Kirche. Die Gottesdienste fanden im Jahre 1672 im Werderschen Rathaus statt. Erst 1699 stellte Kurfürst Friedrich III. sein Reithaus am Werderschen Markt zur Verfügung. Dieser Marstall wurde schon 1648 gebaut und war 17 m breit und immerhin 80 m lang.

1701 wurde dieses Gebäude zur Doppelkirche umgebaut. Doppelkirche? Sie wurde einfach in der Mitte geteilt. So hatten sowohl die deutschen (Lutheraner) als auch die französischen (Hugenotten) Reformierten Platz für ihre Gottesdienste. Da standen die Altare Rücken an Rücken getrennt nur durch eine Wand. Pragmatisch, wie sie im sparsamen Preußen waren, gab es um 1706 einen kleinen Turm auf die Mitte des Daches. Es dauerte noch bis 1801, bis ein Glockenturm errichtet wurde. 

Am 25. Juli 1824 fand der letzte Gottesdienst in der Doppelkirche statt.




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November  2006
Blick vom Lustgarten auf die Kirche 
Oktober 2010

Friedrichswerder?

Friedrichswerder war 1662 eine eigenständige Stadt im Westteil der Doppelstadt Berlin-Kölln. Ab 1710 wurde sie in die preußische Residenzstadt Berlin eingemeindet. Der Name ist auf den Großen Kurfürst Friedrich Wilhelm zurückzuführen.

Um 1727 wurde Friedrichswerder in zwei Teile gegliedert.
In das Gertraudenviertel und in das Scheunenviertel. Diese historischen Stadtteile haben sich selbst für geborene Berliner ziemlich verwischt. Wer nicht gerade da wohnt, kennt sie kaum noch, kann sie kaum lokalisieren, kennt maximal ihren Namen. Und die haben nicht einmal einen eigenen Eintrag in Wikipedia.

Friedrichswerder schien nur aus 19 Straßen bestanden zu haben. Im Osten vom linken Spreeufer reichte es ungefähr bis zur Humboldt-Uni im Westen und von der Dorotheenstraße im Norden zum Spittelmarkt.
April 2015
April 2015
Irgendwie war es nach dem Abriss des DDR-Außenministeriums schön, eines der Hauptwerke Schinkels quer über den Lustgarten und der Schloßbrücke (sie schreibt sich ja so!) sehen zu können. Aber die vielen Kräne ließen Arges ahnen. Dass es so schlimm kommen wird, hat keiner  erwartet.
April 2015
April 2015
Blick aus Richtung Lustgarten auf die Kirche 
Dezember 2015

Planung

Ein Vorschlag für eine neue Kirche wurde 1820 von einem Archäologen Aloys Hirt unterbreitet. Karl Friedrich Schinkel legte 1821 einen Gegenentwurf vor. Danach sollte dieser erste Entwurf die Form eines römischen Tempels haben.
 
Weitere Vorschläge legte er 1822 und 1823 vor. Im März 1824 entschied der Hof, dass eine Kirche im Stile des Mittelalters entstehen sollte. Schinkel hatte das Kirchenschiff mit vier Türmen geplant und er soll sehr enttäuscht gewesen sein, als ihm die beiden Türme im Norden auf dem flachen Dach aus Sparsamkeitsgründen gestrichen wurden.

Schinkel wollte 


„…dem Gebäude den Charakter englischer Chapels zu geben, worin einige große Verhältnisse wirken und das ganze sich eng zusammenschließt.“
So entstand ein schmaler und hoher, einschiffiger Saalbau mit einem großen Fenster an der Front und den beiden übrig gebliebenen Türmen. Im Äußeren lässt sich eine Ähnlichkeit mit der Londoner Westminster Abbey erkennen, während das Innere sich an die Marienburg anzulehnen scheint.


Februar 2019
Blick vom Lustgarten auf die Kirche 
August 2018

Bau

Nach 300 Jahren entstand erstmals wieder ein großes Bauwerk in Ziegelbauweise. Es war die erste neogotische Kirche Berlins in der märkischen Backsteintradition. Der Bau galt als Vorbild für viele weitere Kirchen in Berlin, Brandenburg und Sachsen. Der Grundstein wurde 1824 gelegt und die Weihe fand am 10. Juni 1831 statt.

Der Altar war mit Bildern von Begas und Schadow reich geschmückt. Sie gingen bei einem Bombenangriff am 29. April 1945 für immer verloren - 7 Tage vor Kriegsende.
Februar 2019
Was da mal was?
Mai 2020

Materialien

Was Schinkels Bau so einzigartig macht ist die hervorragende Qualität der außen verwendeten Materialien. Die Tonwarenfabrik von T. Feilner aus Berlin brannte nicht nur die Mauerstein, die fast wie Marmor ausschauen, sondern auch die Modelle der Figuren. So auch den Erzengel Michael über dem Portal (Bild unten).

Dafür wurde im Innenausbau einiges eingespart. Die Wände dort wurden ja eh verputzt.
Außergewöhnlich schöne Klinker
Februar 2018

Desaster

Wirklich, die wollten noch höher bauen!
Mai 2016
Renditegeile Investoren und Architekten mit einem Tausendstel des Verstandes Schinkels brachten die Kirche fast zum Einsturz.

Wie sonst kann der Boden 3,50 m neben der Kirche von 1830 bei Schachtarbeiten nachgeben und sie fast zerstören? Wieso kam Schinkel damals mit dem bekannt schwierigen Untergrund klar? Wo war die Bauaufsicht des Senats?

Diesen hässlichen, auf die Umgebung nicht Rücksicht nehmende, die Kirche verschattenden Bauten dann auch noch großkotzig „Kronprinzengärten“ zu nennen, zeugt von nichts weiter als Geldgier. Damit die Rendite stimmt, muss der Bau natürlich bis zu 7 Stockwerke hoch sein und über eine opulente Tiefgarage verfügen. So ein Penthouse kann man schon für 4,6 Millionen Euro haben, den Quadratmeter für nur 17.000 €. Natürlich mit mehreren Garagen für die Gäste pro „Loft“.  Was spielt da die olle Kirche nebenan schon für eine Rolle.

Die Friedrichswerdersche Kirche drohte 2012 einzustürzen. Risse im Mauerwerg und in der Gewölbedecke. Die großen Fensterrahmen sind verzogen, noch sind Arbeiten an der Tür und dem Fußboden nicht fertig. Es heißt, die Schäden seien nicht mehr rückgängig zu machen. Die Kirche aber sei standfest und sicher. Im Herbst 2020 soll sie wieder der Öffentlichkeit zugäugig sein.

Die Kosten - man spricht von 15 Millionen Euro - zur Behebung der Schäden werden vom Bauträger getragen. 
Schinkel…
…wie er im Grabe rotiert vor so viel Blödheit 
Ohne dieses Gerüst wäre die Kirche eingestürzt
Vielleicht war das ja schon Absicht. Wie gewinnbringend hätte der Baugrund dann vermarktet werden können! Ob die Pandemie diesen Wahnsinn stoppen kann? Sehen Sie sich mal die überkandidelten Internetauftritte der Immobilienmakler an. Sie brauchen nur „Kronprinzengärten“ einzugeben.

Um klarzustellen: Nichts gegen Luxus! Aber so idiotisch „auf Kante genäht“ und ohne jedes Feeling für das bißchen Historie, das in Berlin noch übrig ist.
Gemälde von Carl Daniel Frydanck, 1839
(aus Wikipedia, Werk ist gemeinfrei). Die Bauten wirken nicht so bedrohlich nahe wie heute.
Ob das Schinkel gefallen hätte? Oder sonst einem? Aber alles rächt sich. Viel Licht haben nur die Penthäuser. Unten gibt es viel Schatten! (aus Google Earth).
Schinkels Vorstellung
(aus Wikipedia, Werk ist gemeinfrei)
Juli 2016
Juli 2016
Mai 2020
Mai 2020
Die beiden Portale der Kirche

Grabplatten

Februar 2018
Die Grabplatten sind kaum noch zu entziffern. Sie stammen noch von der ersten Kirche.
Mai 2020
Mai 2020
Die Grabplatten sind kaum noch zu entziffern. Sie stammen noch von der ersten Kirche.

Verkorste Neubauten

Mai 2020
Mai 2020
Ist es nicht schön, dass Berlin diesen 3,50 m breiten Durchgang diesen unprofessionellen Bauwütigen abgerungen hat?
Mai 2020
Mai 2020
Sogar eine eigene Straße hat man denen zugestanden. Die Gittertore sind auch noch im September 2020 unverschlossen - weil keiner da wohnt. Und wer ist schon so blöd und läuft da an den kahlen Betonfassaden vorbei? Da hat die Coronakrise denen einen ganz schönen Strich durch die Rechnung gemacht. Alles rächt sich im Leben.
Wie renditegeil muss man sein, um mit Ach und Krach gerade noch das Licht für die Kirchenfenster durchzulassen? Hätte man diese häßlichen Kästen nicht weglassen können? Wo waren da die Koryphäen der Bausenatoren, des Denkmalschutzes? Mögen die Investoren doch bitte bald Pleite
gehen und der Mist abgerissen werden.
Mai 2020
Irgendwie waren ja Zilles Hinterhöfe noch anheimelnder. Kann man sich hier Kinder vorstellen?
September 2020
Wirklich? Möchten Sie hier wohnen? Wo es eng bebaut ist, ohne Grün, ohne Licht, ohne Aussicht? Wo in normalen Zeiten nur Touristen rumlaufen und es kaum Einkaufsmöglichkeiten gibt?

Zugegeben, so ein bißchen Schadenfreude kommt doch auf. Jetzt ist der Komplex schon lange fertig und fast alles steht leer. Da wollte viel Geld ganz schnell noch viel mehr Geld verdienen und das ohne jeder Rücksicht auf die Kirche neben an. Man stellte sich obendrein auch noch ziemlich blöd an, brachte die Kirche fast zum Einsturz.

Und dann kam Corona. Plötzlich brauchte keiner mehr Büros ohne Ende und den Quadratmeter zu Mondpreisen, so wie Penthäuser für Millionen.
Mai 2020
Nicht viel los am Sonntagvormittag
Mai 2020
Hier war mal Leben?
Mai 2020
Klar, bestimmt vor weit über 100 Jahre als die Leute hier übereinander wohnten und noch in die Kirche gingen, hier in der Keimzelle Berlins
1. Mai 2021
Genau 1 Jahr nach den Aufnahmen oben sieht es genau so tot aus. Es ist fast schon eine Frechheit diese Steinwüste hochtrabend „Kronprinzengärten“ zu nennen.
März 2022
Selbst wenn sie die bestimmt horrende Miete halbieren würden, sie werden die Betonkästen einfach nicht los

Wiedereröffnung der Friedrichswerdersche Kirche

März 2022
Im Oktober 2020 konnte die Kirche wieder eröffnet werden. Sogar die Fußbodenheizung funktioniert. Aber, so stand irgendwo zu lesen, die Statik ließ sich nicht zu 100% wieder herstellen.

Die Betongoldjäger von nebenan mussten nicht nur viele Millionen für die Restaurierung locker machen, sie können ihre Waben nach Corona auch nicht wie gedacht vermieten. Kann doch eigentlich für diese städtebauliche Sünde bis zum Abriß so bleiben, oder?

Leider sind in die Ausstellung nicht alle Skulpturen zurückgekehrt. Das schöne Doppenstandbild der Prinzessinnen Luise und Frederike von Preußen von Johan Gottfried Schade von 1797 fehlt nach der Wiedereröffnung.

 
Leider nicht mehr in der Ausstellung
März 2022
Prinzessinnen Luise und Frederike von Preußen (Bild aus Wikipedia unter der Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation)
Wäre das nicht ein Verbrechen wenn es durch die Habgier der Nachbarn für immer verloren gegangen sein?
März 2022
Hyazinth
März 2022
Eigentlich sind ja in der klassizistischen Kirche nur Marmorskulpturen des Klassizismus ausgestellt. Da fällt natürlich diese Bronze von François Joseph Bosio (* 19. März 1768 in Monaco; † 29. Juli 1845 in Paris) besonders auf.

Die Figur passt durch den Stil hier hin. Der Franzose hat sie 1816/17 geschaffen. Sie heißt Hyazinth. Das Original ist aus Marmor und steht im Louvre. Der Bronzeabguss kam 1827 nach Berlin.

Die Figur stammt aus der griechischen Mythologie. Hyakinthos (gr.) erregte durch seine außergewöhnliche Schönheit die Aufmerksamkeit und Liebe des Apollon. Doch durch einen Unfall beim Diskuswerfer tötete Apollon den Knaben (….). Aus seinem Blute soll eine schöne Blume entstanden sein. Die Hyazinthe? Heute meint man eher es sei Rittersporn oder die Schwertlilie gemeint. Vertont wurde dieser Mythos durch Mozart und Beethoven.

Na ja, nur mal so einer schönen Sache am Sonntagvormittag aus purer Neugierde auf den Grund gehen…
Begas: Eva und ihre Kinder Kein und Abel
Schadow: Grabmal von Armin-Boitzenburg
Wolff: Nereide mit Dreizack 
Platz für den Zerstörer der Ukraine?*
* Bilder vom März 2022

Literaturverzeichnis Berlin