Handbuch der Malediven




Handbuch der Malediven




Kapitel 3

Knorpelische

Kapitel 3

Knorpelische

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Liebesleben der Weißspitzen-Riffhaie

Uralter Korallenblock am Ostende der Insel Ellaidhoo, 1994

Seit Jahrhunderten steht die große Steinkoralle dort am schräg abfallenden Riff am Ostrand der Insel Ellaidhoo, die am Ostrand des Ari-Atolls liegt. Sie steht dort als erster oder, ganz wie man will, als letzter markanter Punkt. Seit Jahrhunderten strömt an dieser Stelle frisches, nährstoffreiches Wasser aus der Tiefe empor - sonst hätte die Koralle bei einem jährlichen Wachstum von einigen Millimetern im Jahr nicht diese Ausmaße erreicht. Sie misst so 10-12 m im Umfang, ist vielleicht 4-5 m hoch und bei Ebbe bedecken immer noch 2 m Wasser ihre höchste Stelle. Schwimmt man auf sie zu, ist sie von Ferne nur schwer auszumachen und nur langsam heben sich ihre blaugrauen Konturen beim Näherkommen vom tiefblauen Hintergrund ab.

Ehrwürdig und geheimnisvoll wie ein schöner alter Baum steht sie 5 m vor dem Riffabhang, der hier bis auf 30 m steil abfällt. Nichts deutet an diesem schönen maledivischen Morgen darauf hin, dass hier etwas Außergewöhnliches zu beobachten sein wird. Knollig ist sie, mit Rändern wie sie Pilze haben, an manchen Stellen durchbrochen von tiefen Einschnitten aus denen heraus die großen Augen der nachtaktiven Fische schauen. Viele Anemonen haben sich angesiedelt, wedeln mit ihren kurzen Tentakel nach Plankton, umschwirrt und heftig verteidigt von ihren putzigen Clownfischen.

Frühmorgens herrscht ein aufgeregtes Leben um die Koralle herum. Unordentlich kreuz und quer schwimmen viele  Rotzahndrückerfische (Ondus niger) durcheinander und schnappen vor der Riffkante nach Nahrung. Genau wie die  Schwarmwimpelfische (Chaetotdon diphreutes) , von denen gesagt wird, dass die Malediver sie "Engelchen" nennen und sie wieder vorsichtig ins Meer zurücksetzen würden, falls sie ins Netz gingen. Das hört sich zwar sehr gut an, aber wer viele Jahre in Asien gelebt hat, weiß um die gänzlich andere Auffassung der Mohammedaner Tieren gegenüber.

Das Männchen beißt dem Weibchen hinter die linke Kieme und zieht es unter der Koralle hervor

Eine Muräne kommt nach hause und verschwindet unter den pilzförmigen Überhängen am Fuße der Koralle. Der Kopf erscheint wieder an nicht erwarteter Stelle.  Putzerfische eilen diensteifrig heran und sie lässt sich genüsslich die Zähne reinigen.  Korallenwächterbarsche liegen auf den höchsten Punkten auf der Lauer. Sie hätten von hier oben den besten Überblick über das quirlige Leben der vielen tausend Fische, die wie Wolken die Koralle umschweben, aber sie haben nur Augen für die kleinen, grade 1 cm langen silbernen Winzlinge und hoffen auf ein anständiges Frühstück. 

Immer schwimmen  Weißspitzen-Riffhaie Triaenodon obesus (Rüppell, 1837) ruhig an der Koralle vorbei, umkreisen sie manchmal und verschwinden wieder in der Tiefe. Am späteren Vormittag wird das Treiben ruhiger. Der erste Hunger ist gestillt. Ruhig stehen die  Schwarmwimpelfische , jetzt wohl ausgerichtet, nicht weit von der Koralle weg - ein einmalig schöner Anblick. Auf halber Höhe haben sich  Süßlippen aufgebaut, gestreifte und gefleckte. Sie dösen in den Tag hinein. Ein Pärchen  Halsband-falterfische mischt sich darunter, auch ein Soldatenfisch genießt die Ruhe an der Koralle. Alle bewegen sich kaum und eine feierlich Festtagsstimmung liegt über der ganzen Szene, man atmet unwillkürlich leiser, möchte nicht stören, genießt die Ruhe im sonnendurchfluteten tiefblauen Wasser. 

Nur ein Drücker baut an seinem Nest. Mal bläst er mit einem Wasserstrahl Sand weg, dann trägt er an anderer Stelle mit seinem kräftigen Maul Korallengeröll zur Seite. Er kann sich nicht entscheiden. Kommt man in seine Nähe komme, fährt er ein paar wütende Scheinattacken mit rollenden Augen auf den Störenfried, beruhigt sich aber bald wieder und setzt seine Arbeit fort. Hier kommt selten jemand her. Für Taucher nicht tief genug, Schnorchler gibt es auf der Taucherinsel eh nicht und wenn, hält sie die leichte Strömung und der weite Weg ab. 

Mir ist dieser Korallenblock seit vielen Jahren bekannt und ich bin oft und gerne hier. Nie habe ich Überraschungen erwartet und doch sah ich schon einmal einen  Großen Gitarrenrochen. Gewiss, Haie gab es hier draußen fast so häufig wie  Papageifische; man blickt ihnen kaum noch nach. So störte mich der Hai gar, der wie wild plötzlich den Korallenblock kurz über den Boden umkreiste. Er nahm einen kleinen Anlauf und fuhr mit voller Fahrt unter die Koralle und mit der himmlischen Ruhe war es schlagartig vorbei.

Immer noch wehrt sich das Weibchen und wird mit dem Kopf in den Boden gerammt

Er versucht seine Angebetete in die richtige Lage für den Begattungsakt zu bringen

Es sieht eher wie ein Kampf denn wie ein Liebesspiel aus. 

Die Haidame hat ganz schön etwas auszuhalten.

Alles hätte ich erwartet, aber er kam mit einem gleich großen Hai wieder heraus! Den hatte er kurz hinter der linken Kieme gebissen und hatte ihn jetzt quer zu seinem Körper im Maul. Von meinem Logenplatz über der Koralle fing ich an zu fotografieren.


Der Drücker hatte aufgehört sein Nest zu bauen, ein dritter Hai kam hinzu. Die Schwarmwimpelfische kamen neugierig heran und nahmen mir fast die Sicht. Ich erwartete Blut und damit die restlichen Haie dieses Riffabschnittes, aber dann mir fielen die Berichte vom rauen Liebesleben der Haie ein und ich wusste, was ich da hautnah miterlebte.

Ein dritter Hai kommt hinzu

Ich sah auf die Uhr. Unter mir tobte ein richtiger Kampf. Das Männchen rammte den Kopf des Weibchens immer wieder in den Korallengrund und Sand wirbelte auf. Nach ca. 2 Minuten wurde ihr Widerstand schwächer. Die Köpfe fest auf den Boden gedrückt, erhoben sich die Leiber senkrecht in die Höhe. Die beiden weißen Bauchseiten wurden sichtbar und schlugen genau vier Mal aneinander. Dann war alles vorbei. 

Fische sind verdammt neugierig. Endlich ist was los am Riff

Der ganze Liebesakt der Weisspitzenhaie hatte samt rauem Vorspiel 4 Minuten und 30 Sekunden gedauert. Die beiden Haie verschwanden ruhig in der Tiefe, jeder an einer anderen Stelle und in eine andere Richtung. 


Einen Tag später an der gleichen Stelle. Der Drücker hatte seine rosafarbenen Eier ins Korallengeröll gelegt, wollte aber konnte mich nicht angreifen. Denn kaum war er ein Stück von seinem Gelege weg, stürzten sternförmig alle kleinen Junker der Umgebung darauf zu, um von den Eiern zu fressen. 

Er hat es geschafft. Der Hinterkörper liegt parallel an. Lediglich viermal klatscht er gegen den Bauch seiner Partnerin, dann lässt er sie los. 

Er kehrte um, jagte sie weg und behielt mich mit rollenden Augen im Blick. So blieb ihm nichts anderes übrig, als senkrecht über seinem Gelege stehen zu bleiben und es zu befächeln. 24 Stunden lang macht er diese Brutpflege, aber da sitzt der Beobachter leider schon in der Maschine nach Europa. 


Wieder waren Haie am Korallenblock und ich hielt Ausschau nach einem mit einer Bisswunde oder Kratzern hinter der linken Kieme, wohl wissend, so etwas ist nur einmal im Leben zu sehen, hier, am Fuß der alten Koralle.

Helle Bissspuren der scharfen Zähne bleiben auf der Haut an den Kiemen des Weibchens zurück, so, wie hier bei einem anderen Hai zu sehen ist.